Montag, 27. September 2010

Mit Animal Spirits durch die Finanzkrise

Ich habe über die Osterfeiertage das Buch “Animal Spirits – Wie Wirtschaft wirklich funktioniert” gelesen. Darin erklären Robert Shiller und George Akerlof ihre Sicht über die Ursachen von Rezessionen und Finanzkrisen. Das Buch ließt sich gut. Ob es wirklich wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden kann, muss die Diskussion in der scientific community zeigen. Was die aktuelle Krise betrifft ist das Buch jedenfalls der am weitesten gefasste und auch beste Text, den ich bisher zum Themenkomplex Finanz- und Wirtschaftskrise gelesen habe. Shiller und Akerlof haben dieses Werk übrigens nicht erst in den letzten Monaten geschrieben, sondern bereits vor Jahren damit begonnen. Sie haben aber ihr Manuskript um die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise aktualisiert.
Das Buch macht deutlich, warum die herrschende Makroökonomie mit ihren Erklärungsansätzen nicht weiterkommt.  Die Ökonomie als Wissenschaft berücksichtigt zu wenig Erkenntnisse aus der Psychologie, um das Verhalten der Menschen in der realen Wirtschaft erklären zu können. So können Börsenkurse von ihren “richtige” Werten abweichen, weil Anleger dem Herdentrieb folgen und nicht rationalen Erwartungen von Gewinnchancen, wie die bislang in der Finanzlehre vorherrschende Theorie der effizienten Märkte behauptet. Derart instinktgetriebenes Handeln sei eher die Regel als die Ausnahme, erklären Shiller und Akerlof.
Basis der Gedanken zu den Animal Spirits sind von der herrschende Ökonomie vernachlässigte Aussagen von Keynes. Dazu schrieb die FAZ: “Keynes war der Meinung, dass die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen rationalen Motiven entspringen. Die Menschen verfolgen ihre Ziele, sie suchen ihren Nutzen, sie wägen Kosten und die möglichen Alternativen ab. Aber sie sind auch, weil sie Menschen aus Fleisch und Blut sind, ihren Trieben und Stimmungen unterworfen. Einmal neigen sie zu Vertrauen, ein anderes Mal dominiert das Misstrauen. Mal werden sie neidisch, mal meldet sich das alte Ressentiment. Und nie gibt es ein objektives Maß, welches anzeigen würde, wann eine Unternehmung zu riskant und wann eine Gewinnerwartung übertrieben ist.”
Alle Rechnungen, die sich auf die fernere Zukunft beziehen, sind Kaffeesatzleserei, wusste schon Keynes. Weil das die meisten Menschen (aber nur wenige Ökonomen) verstehen, hören sie lieber auf ihren Bauch oder handeln so, wie andere es machen, also nach sozialen Normen. Das ist es, was Keynes die “Animal Spirits” nennt – “a spontaneous urge to action rather than inaction”, schreibt Fabian Lindner im Herdentrieb.  Die “Animal Spirits” sind in der Keynes-Rezeption schnell unter den Tisch gefallen, wie Olaf Storbeck im Handelsblatt schreibt. Bereits in der 1937 von John Hicks publizierten Interpretation der “General Theory”, die die bis heute gängige Sicht auf Keynes prägte, spielen Unsicherheit und Erwartungen keine Rolle mehr.
Shiller und Akerlof greifen das Konzept von Keynes auf und schreiben u.a.:
“Keynes selbst vertrat einen gemäßigten Ansatz. Ihm zufolge wird die Wirtschaft nicht allein von rationalen Akteuren beherrscht, die (wie gelenkt von der »unsichtbaren Hand« der klassischen Theorie) jeden Tausch vornehmen, der beiden Partnern ökonomische Vorteile verschafft. Keynes räumte sehr wohl ein, dass ökonomisches Handeln großenteils von rationalen ökonomischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig von Instinkten beeinflusst wird, den von ihm so genannten Animal Spirits. Der Mensch verfolgt nicht allein ökonomische Ziele. Und auch dann, wenn er seine ökonomischen Interessen im Auge hat, handelt er nicht immer rational. Nach Keynes’ Auffassung sind die Animal Spirits die wichtigste Ursache für Schwankungen der Konjunktur und für unfreiwillige Arbeitslosigkeit.
Wenn wir also die Wirtschaft verstehen wollen, müssen wir herausfinden, auf welche Weise sie von den Animal Spirits beeinflusst wird. Während Adam Smiths unsichtbare Hand den Kerngedanken der klassischen Wirtschaftstheorie bildet, sind Keynes’ Animal Spirits der Kerngedanke eines abweichenden Modells der Wirtschaft – eines Modells, das die fundamentale Instabilität kapitalistischer Wirtschaftssysteme zu erklären vermag.”
Shiller und Akerlof sind nicht die ersten, die das Konzept der Animal Spirits wieder aufgreifen. Robert Barsky und Eric Sims von der Universität Michigan haben bereits im September vergangenen Jahres in einem Arbeitspapier ein überarbeitetes Modell keynesianisches Modell vorgelegt, in das sie die Animal Spirits integrieren. Und auch andere Forschungspapiere haben das Konzept längst wieder entdeckt. Dennoch versuchen Akerlof und Shiller das Konzept von den Animal Spirits in einen größeren Zusammenhang einzuordnen.
Im ersten Teil des Buches konkretisieren sie dazu die Animal Spirits. Dazu beschreiben sie ausführlich fünf verschiedenen Ausdrucksformen der Animal Spirits und erläutern deren Einfluss auf ökonomische Entscheidungen.
  1. Vertrauen
  2. Fairness
  3. Korruption und unmoralisches Verhalten
  4. Geldillusion
  5. Geschichten
Die Autoren gehen damit in ihrer Ursachenbeschreibung auch für die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise wesentlich tiefer als bisherige Autoren. So sehen sie eine Mitursache für den Immobilienboom auch darin, dass viele Anleger den Aktienmärkten nach der Enron-Krise nicht mehr trauten, weil sie den Zahlen der Buchhaltung vieler Aktiengesellschaften nicht mehr glaubten. In der Folge hätten sich viele Anleger vom Aktienmarkt abgewendet und in vermeintlich sichere Immobilien investiert. Die Konsequenzen sind bekannt.
Aber ihr Werk ist nicht speziell für die aktuelle Krise geschrieben, sondern reicht viel weiter zurück. Sie betrachten die 1890er-Depression und die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Leser erhält dadurch den Eindruck einer bestimmten Zwangsläufigkeit von Wirtschaftskrisen. Und nach jeder Krise wähnte man sich klüger und versuchte mit neuen Maßnahmen künftige Krisen zu verhindern. Gelungen ist das nie. Und als Leser stellt man sich zwangsläufig die Frage,  warum dies trotz der großen Erkenntnisgewinne der letzten Jahrzehnte ausgerechnet diesmal anders sein sollte.
Shiller und Akerlof schreiben dazu:
“Eine Wiederkehr der Großen Depression ist heute denkbar, denn in den letzten Jahren sind die Ökonomen, die Regierungen und die breite Öffentlichkeit selbstzufrieden geworden. Sie haben die Lehren vergessen, die aus den Ereignissen der 1930er Jahre gezogen wurden.”
Immerhin hat man jede Wirtschaftskrise in der Vergangenheit überwinden können. Ob dies jedoch geschickter Wirtschaftspolitik oder wiederum den Animal Spirits zu verdanken ist, bleibt in dem Buch unbeantwortet.
Ob ihr Angriff gegen die herrschende Makroökonomie diese bereits zum Einsturz bringen kann, ist allerdings zu bezweifeln. Wissenschaftler legen hohe Maßstäbe an, bevor sie sich von ihren liebgewonnenen Paradigmen verabschieden. Daher sympathisiere ich mit der Kritik im Herdentrieb:
“Doch obwohl Shiller und Akerlof besonders viel über die Konsequenzen für die ökonomische Wissenschaft sagen könnten, die sich aus der genaueren Analyse der Animal Spirits ergeben, kratzen sie oft nur an der Oberfläche. Viele Argumente bleiben unvollständig und vor allem schlecht organisiert. Was die Autoren als große Theorie und praktische Anwendung dergleichen anpreisen, ist oft wenig zusammenhängend und bleibt Stückwerk. …  Zu weit fassen die beiden, was sie unter Animal Spirits verstehen – nämlich so gut wie alles, womit sich die meisten Ökonomen in ihren Modellen nicht beschäftigen.”
Egal aber, ob das Buch hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt oder nicht, es könnte auf jeden Fall den fälligen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft befördern. Dass ein Paradigmenwechsel in der Ökonomie fällig ist, dürfte wohl kaum noch bestritten werden, denn zu groß sind die Abweichungen der Realität (Thomas Kuhn würde sagen der Anomalien) vom Modellgebäude der Ökonomie. Akerlof und Shiller haben mit den Animal Spirits noch kein neues Paradigma vorgelegt, dafür mangelt es der Theorie an falsifizierbaren Hypothesen. Ökonomen haben außerdem mit der Neuen Institutionenökonomik und insbesondere mit der Principal Agent Theorie noch mächtige Geschütze, die sich zwar ebenfalls von der Neoklassik entfernen, sich aber innerhalb des ökonomischen Paradigmas bewegen.
Aber das Buch macht wie viele andere Werke klar, dass die Ökonomie sich von den Annahmen perfekter Märkte verabschieden muss und viel stärker das Verhalten der Menschen in ihre Modelle integrieren muss. So könnte der Weg zu einer neuen Ökonomie über das Nutzenkonzept erfolgen. Ökonomische Modelle basieren bekanntlich auf dem Prinzip der Nutzenmaximierung des Individuum. Was diese Nutzenmaximierung beinhaltet und wie die Nutzenempfindung entsteht, betrachten Ökonomen bisher noch zu wenig. Nach meiner Auffassung lässt sich das Verhalten des Individuums erst mit verhaltenswissenschaftlicher Fundierung befriedigend erklären. Zwar reicht es m.E. häufig aus, wenn zur Erklärung bestimmter Sachverhalte die Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik unterstellt werden. Für die Mikrosteuerung von Maßnahmen ist es jedoch notwendig zu verstehen, was das Verhalten, das subjektive Nutzenempfinden eines Individuum beeinflusst, was ihn motiviert etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu tun bzw. etwas nicht zu tun.
Jetzt bin ich etwas vom Thema abgekommen, denn eigentlich wollte ich abschließend dieses Buch als sehr lesenswert einstufen. Der Campus Verlag hätte aber auf den Untertitel in der deutschen Übersetzung “Wir Wirtschaft wirklich funktioniert” verzichten sollen. Der Untertitel der US-Version “How Human Psychology Drives the Economy, and Why It Matters for Global Capitalism” klingt deutlich weniger anmaßend und entspricht wohl eher der Intention der Autoren.

Weitere Literatur zum Thema

Akerlof und Shiller: Vorwort aus dem Buch

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